Das ‚Mehr‘ eines Beziehungskonflikts in einem Unternehmen – Ein Plädoyer für den ganzheitlich-systemischen Klärungsansatz

Die Ausgangssituation

Wir wurden von dem Personalleiter eines weltweit agierenden Wirtschaftsunternehmens mit über 2000 Mitarbeitern gerufen, um einen Konflikt zwischen zwei Abteilungsleitern eines Geschäftsbereichs einer Klärung zuzuführen. Die Abteilungsleiter lehnten einander persönlich zunehmend ab, was die Konfliktdynamik auf der inhaltlichen, als auch auf der Beziehungsebene beschleunigte. In Folge dieser Konfliktsituation war eine Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen nur noch schwer möglich. Aufgrund der gravierenden Kommunikations- und Beziehungsstörungen konnten aktuelle Projekte nicht ohne größere Schwierigkeiten abgeschlossen werden, war die Akzeptanz von Veränderungsnotwendigkeiten ausgesprochen gering,  war die Erarbeitung einer zukünftigen strategischen Ausrichtung an den Schnittstellen zwischen den Abteilungen nicht möglich. Die Mitarbeiterdenden beider Abteilungen fühlten sich unwohl angesichts der zunehmenden Eskalation. Sie litten unter der unausgesprochenen Prämisse beider Abteilungsleiter: „Bist du nicht für mich, dann bist du gegen mich.“ Der Konflikt hatte also mittlerweile erhebliche negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit im Unternehmen. Was noch gravierender war: auch im Außen war die problematische Situation wirkmächtig worden. Kunden reagierten bereits auf das angespannte Verhältnis der Abteilungsleiter und dessen Folgen. Mehrfache Versuche von Mitarbeitern der Personal- und Rechtsabteilung, den Konflikt zu schlichten, waren bisher erfolglos geblieben.

Diagnose der Situation

In Gesprächen mit den Verantwortlichen der Personalentwicklung, dem Geschäftsführer als auch den beiden Abteilungsleitern kamen wir überein, nicht die Problematik und Entwicklung der beiden im Konflikt involvierten Abteilungsleiter isoliert zu betrachten, sondern auch die jeweiligen Abteilungen mit ihren spezifischen Arbeitslogiken und besonders die Führungs- und Unternehmenskultur mit in den Fokus zu nehmen. Wir planten eine kleine Organisationsdiagnose und wählten den Einsatz folgender Werkzeuge:

  1. Entwicklung eines Interviewleitfadens
  2. Durchführung von halbstandardisierten Interviews
  3. Auswertung der Interviews
  4. Rückspiegelung der Interviewergebnisse

Die Architektur der Diagnose

Empirische Grundlagen schaffen

Wir entwickelten einen Interviewleitfaden und führten 32 halbstandardisierte Interviews durch. Die InterviewpartnerInnen wurden durch Mitarbeitenden der Personalentwicklung nach unterschiedlichen Kriterien mit der Prämisse ausgewählt, möglichst viele Unterschiede hinsichtlich Geschlecht, Alter, Funktion im Unternehmen, Betriebszugehörigkeit, Aufgaben, Personalverantwortung etc. abzubilden, um relevante Aussagen eines stellvertretenden Querschnitts aus den Abteilungen zu erhalten. Die Interviews wurden aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert. Bei der Datenauswertung handelte es sich um qualitative Forschungsarbeit. Die zum Einsatz kommenden Techniken entsprachen den in der empirischen Sozialforschung generell üblichen Methoden (Vgl. Rosenstiehl 2005). Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten von innen heraus, aus der Sicht von handelnden Menschen, zu beschreiben. Damit will dieser Forschungsansatz zum besseren Verständnis sozialer Wirklichkeiten beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen (Vgl. Flick 2005).

Am Ende der Erhebungsphase und Datenauswertung, die in mehreren Schleifen erfolgte, fassten wir unsere Diagnose in Hypothesen zusammen. Sie dienten als Grundlage und waren richtungsgebend für das weitere Vorgehen.

Hypothesen

  1. Beide Abteilungen verfügen über vielfältige Kompetenzressourcen, die dem Unternehmen sehr nutzbringend sein könnten.
  2. Die Arbeitslogik zwischen den Abteilungen ist unterschiedlich. A hat und braucht für die sich stellenden Aufgaben und Herausforderungen einen eher weiten Blick, denkt und handelt im Rahmen eines Makromanagements. B hingegen hat und braucht den Blick des Mikromanagements. Das Schaffen von Synergieeffekten zwischen beiden ist noch nicht gelungen.
  3. „Arbeit“ wird von den Akteuren der einzelnen Abteilungen unterschiedlich definiert und schwarz-weiß positioniert: … Die fliegen in der Weltgeschichte rum, und wer weiß, was die da machen …  Die stehen nur in Ihren Werkshallen und haben keine Ahnung von der Welt und den Besonderheiten der Märkte.
  4. Synergieeffekte können entstehen, wenn die unterschiedlichen Arbeitslogiken in einem permanenten Prozess ausbalanciert werden. Dazu wäre es brauchbar, Verantwortlichkeiten, Ziele, Aufgaben der Abteilungen an den Schnittstellen zu definieren, zu kommunizieren und einer gegenseitigen Akzeptanz zuzuführen. Dies ist gegenwärtig nicht umfassend gegeben. Die Folgen sind dysfunktional für die Zusammenarbeit der betroffenen Abteilungen im Geschäftsbereich.
  5. Auf die bereits vom Unternehmen definierten und kommunizierten Führungsleitlinien und Unternehmenswerte greifen die Führungskräfte nicht zurück.
  6. Die entstandene Konfliktdynamik zwischen den Abteilungsleitern hat ihren Ursprung in der unterschiedlichen Systemlogik der Abteilungen. Die daraus entstehenden unvermeidbaren Widersprüche und Unterschiede wurden personifiziert, so dass sich ein Beziehungskonflikt entwickelte.
  7. Zur Konfliktanalyse ist es nicht brauchbar, nur auf die handelnden Personen zu schauen, sondern die Organisationsarchitektur und –dynamik ist mit in den Fokus zu nehmen. Ist Abteilung A als „Stabsabteilung“ mit direkter Zuordnung an die Geschäftsführung sinnvoll in die Organisation integriert?
  8. Der Konflikt hat allerdings schon eine relativ hohe Eskalationsstufe erreicht. Zur Wiederherstellung und Sicherung einer tragfähigen und nachhaltigen Zusammenarbeit wird eine Mediation zwischen den Konfliktparteien notwendig sein.
  9. Um die dysfunktionalen Dynamiken im Inneren zu beenden als auch möglichen Schaden in der Außenwirkung des Unternehmens abzuwenden, ist ein zeitnahes Handeln erforderlich.
  10. Ebenso sind Zukunfts- und Zielorientierung im weiteren Vorgehen bauchbarer als Rückwärts- bzw. Vergangenheitsgewandtheit.

Rückspiegelung der Interviewergebnisse

In einem Tagesworkshop wurden Schlüsselpersonen die Hypothesen rückgespiegelt. Die Funktionen dieses Workshops waren:

  • Herstellen von Anschlussfähigkeit
  • Vertiefung der Vertrauensbeziehung
  • Schaffung einer Basis für eine gemeinsame Entscheidung über das weitere Vorgehen im Prozess.

Neue Aufgabenstellungen und Interventionen

Den Hypothesen wurde von den am Workshop Teilnehmenden als treffende Beschreibung der gegenwärtigen Situation zugestimmt. Die zukünftigen Interventionen sollten dem Widerspruch Rechnung tragen, dass es einerseits um die Klärung eines Beziehungskonflikts gehen musste und gleichzeitig die strukturellen Ursachen des Konflikts mit erweitertem Blick auf die Organisation als auch auf die betreffenden Organisationseinheiten im Vordergrund standen. In einem weiteren Workshop entschieden sich die Teilnehmenden deshalb vorerst für die Bearbeitung folgender Themen

  • Anschlussfähigkeit in der Organisationsstruktur und an die Unternehmenskultur
  • Klärung des aktuellen Konflikts zur nachhaltigen Wiederherstellung und Aufrechterhaltung konstruktiver Zusammenarbeit der Abteilungsleiter
  • Klärung der Verantwortlichkeiten, Ziele und Aufgaben an den Schnittstellen der Abteilungen
  • Regelung der Kommunikation und des Informationsflusses an den Schnittstellen
  • Arbeit an der Führungskultur

Anschlussfähigkeit in der Organisationsstruktur und an die Unternehmenskultur

Die Abteilung A war  nicht hinreichend in die Kultur des Unternehmens eingebunden. Sie war erst vor knapp zwei Jahren organisiert  und als „Stabsabteilung“ direkt der Geschäftsführung zugeteilt worden, in der Organisationsstruktur also nicht auf einer Organisationsebene mit Abteilung B angeordnet, was  vom Geschäftsprozess her gesehen, sinnvoll gewesen wäre. Das führte von vornherein zu Unstimmigkeiten und Störungen im Workflow. Die Geschäftsführung wie auch Abteilungsleiter richteten zudem ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Unterschiedlichkeit der Kulturen und Arbeitslogik in den jeweiligen Abteilungen. So entwickelte sich ein zunehmendes Unverständnis zwischen der eher mikroökonomisch angelegten Arbeitskultur der einen und der makroökonomischen, interkulturellen Ausrichtung der anderen Abteilung. Die nicht ausbalancierten Unterschiede beschleunigten unvermeidbaren Konflikt[1]zwischen den Abteilungen. Es konnte nicht um eine Angleichung, sondern es musste um Transparenz, Erkenntnis, Verstehen, die Akzeptanz und das Managen von Unterschieden gehen. Zudem wurden die allgemeinen Unternehmenswerte, Ausrichtungen und die Identität des Gesamtunternehmens unterschiedlich interpretiert und gelebt.

Zur effektiven Verortung in der Unternehmensstruktur mit dem Ziel, Synergieeffekte zu schaffen, die zum Bestehen und der Weiterentwicklung des Unternehmens auf dem globalen Markt beitragen können, wurde ein „interdisziplinäres“ Projektteam zusammengestellt. Es setzte sich u.a. aus MitarbeiterInnen der Personalentwicklung, den Leitern, einigen Mitarbeitenden   der betreffenden Abteilungen, MarketingmitarbeiterInnen sowie einem externen Organisationsberater zusammen und machte es sich zur Aufgabe, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln.

Konfliktmediation

Die rasante Konfliktdynamik zwischen den Leitern der betreffenden Abteilungen  wurde „genährt“ durch die Entstehung von einem vermeidbaren Beziehungskonflikt.²

Das Mediationsverfahren³ zwischen den beiden Konfliktparteien hatte eine nachhaltige Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der konstruktiven Zusammenarbeit zum Ziel.Effektive Zusammenarbeit setzt Kooperation voraus. (Vgl. Dulabaum 2003, S. 193) Diese war zwischen den Streitenden zu Beginn der Mediation nicht gegeben. Die Abteilungsleiter waren emotional aufgebracht und befanden sich nach unserer Einschätzung auf dem Eskalationsniveau nach Glasl zwischen Stufe drei „Taten statt Worte“ und der Stufe vier „Images und Koalitionen“. Hauptmerkmale des Konflikts waren:

  • Durchdrücken der eigenen Ideen und Positionen gegen den Willen der anderen Partei.
  • Persönliche Aggressionen und Verletzungen werden unverhüllt gezeigt.
  • In den eigenen Reihen wird Meinungsanpassung gefordert.
  • Das Einfühlungsvermögen für die Befindlichkeit der Gegenpartei ist drastisch geschwunden.
  • Zusätzlich zu Aktionen des Durchdrückens  werden Imagekampagnen offen geführt.
  • Offenes Sticheln und Ärgern führt zu neuen Enttäuschungen und schüren das Misstrauen (Vgl. Glasl 2004, S. 302 f.).

Durch das Verfahren der Mediation, in der das Lebendige aus der Vergangenheit geholt wird, im „Hier und Jetzt“ bearbeitet wird und auf eine Übereinkunft in der Zukunft zielt (Vgl. Dulabaum 2003,S. 193), konnte in nur zwei Sitzungen der Wille zur zukünftigen Zusammenarbeit und gegenseitigen Kooperationsbereitschaft wieder hergestellt werden. Die Konfliktparteien vereinbarten, zukünftig – wann immer möglich –  persönlich miteinander ins Gespräch zu kommen und nur noch dann per Mail miteinander zu kommunizieren, wenn der persönliche oder telefonische Kontakt nicht möglich ist. Zudem vereinbarten sie, zukünftig bei Meinungsverschiedenheiten miteinander und nicht übereinander zu reden. Zur Einbindung und zum Verstehen der unterschiedlichen Arbeitslogiken und Bereichskulturen wurde im Sinne einer Job Rotation beschlossen, dass Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen für einen Zeitraum von jeweils zwei Wochen in der jeweils anderen Abteilung hospitieren.

Klärung der Verantwortlichkeiten, Erarbeitung der Ziele und Aufgaben an den Schnittstellen der betreffenden Abteilungen

Definition und Hintergrundmodell

Der nächste Schritt im Entwicklungsprozess betraf die Klärung der Schnittstellen zwischen den Abteilungen. Schnittstellen in Unternehmen sind durch Arbeitsteilung entstandene Transferpunkte zwischen Funktionsbereichen, Projekten, Personen, Unternehmen etc. Schnittstellen ergeben sich dann, wenn komplexe Aufgaben innerhalb oder zwischen Organisationen in Teilaufgaben zerlegt und auf Grund von Ähnlichkeitsaspekten relativ autonomen organisatorischen Einheiten (z.B. Abteilungen, Unternehmensbereichen) zugeordnet werden. Die Aufgabe des Schnittstellenmanagement ist es, Schnittstellen unter Effektivitäts- und Effizienzaspekten zu analysieren, zu planen, zu gestalten und zu managen. Sofern eine Integration möglich ist, sollen sachlich unnötige Schnittstellen zusammengefügt werden. Ist dieses nicht möglich, so ist es die Aufgabe des Schnittstellenmanagements, die Aktivitäten bestmöglich zu koordinieren. (In Anlehnung an: http://update.hanser-fachbuch.de/2014/10/schnittstellenmanagement-in-agilen-unternehmen/)

Als theoretisches Hintergrundmodell verwandten wir das Modell von Dieter Rösner

http://update.hanser fachbuch.de/2014/10/schnittstellenmanagement-in-agilen-unternehmen/

Im Vorfeld eines Workshops, an dem der Geschäftsführer, die Leiter der Abteilungen und ein Mitarbeiter der Personalentwicklung teilnahmen, wurden die Teilnehmenden gebeten, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, auf die wir im Hintergrundmodell den Fokus gelegt hatten:

Gemeinsame Ziele

  • Welches bereichsübergreifende Ziel wird im Sinne der Unternehmensphilosophie als Basis gemeinsamer Haltungen und Werte zugrunde gelegt? 

Strukturen, Aufgaben, Prozesse

  • Welche Aufgabenstrukturen leiten sich aus den Zielen ab?
  • lst eine Prozessdefinition der Aufgabenstruktur brauchbar? Wenn ja, wie sollte der Ablauf definiert sein?
  • Welche Entscheidungskompetenzen werden festgelegt?

Transparente Information

  • Welche Informationswege werden definiert?
  • Sind die bereits bestehenden Dokumentationswege ausreichend beschrieben? Wenn nein, wie sollten diese gestaltet sein?

Kommunikation

  • Wie kann eine sinnvolle Regelkommunikation zu den einzelnen Abteilungen und mit allen relevanten Geschäftsbereichen gemeinsam organisiert werden?
  • Wie werden die jeweilige Agenda und Moderation festgelegt?
  • Welcher Kommunikationsrahmen wird für einen konstruktiven Umgang mit Unstimmigkeiten und Konflikten konstruiert? 

Die Arbeitsergebnisse aus dem Workshop wurden allen Mitarbeitern der Abteilungen als auch den Mitgliedern der oberen Führungsebene des Unternehmens vorgestellt und mit ihnen abgestimmt. Maßnahmen für den Transfer in den Arbeitsalltag wurden zeitnah realisiert.

Führung

Da das Unternehmen bereits Führungsleitlinien entwickelt hatte, wurden diese in einer Großgruppenveranstaltung mit den Führungskräften aller Führungsebenen des Unternehmens erneut diskutiert und auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft. Als Ergebnis kristallisierte sich heraus, dass die Führungsleitlinien zwar in Zusammenarbeit mit einer renommierten Marketingagentur entwickelt und im Unternehmen veröffentlicht worden waren, von den Führungskräften allerdings durch ihr Handeln und Entscheiden keines Falls zu einem lebendigen Teil der Führungskultur gemacht worden waren.

Eine Leitbildentwicklung kann nicht als einmalige Angelegenheit betrachtet werden. Leider, so schien es, ist dies im Unternehmen passiert. Die Personalentwicklung konzipierte eine Veranstaltungsreihe für die Bereichsleiter und die Führungskräfte der mittleren Ebene mit den Zielen:

  • die richtungsweisende Funktion von Führungsleitsätze zu überarbeiten,
  • die bereits bestehenden Leitlinien auf ihre Brauchbarkeit und Realisierbarkeit hin zu überprüfen und gegebenen falls zu verändern bzw. zu ergänzen,
  • Möglichkeiten des Transfers der Leitlinien in die tägliche Führungspraxis zu erarbeiten,
  • die Orientierung und Weiterentwicklung  an den Leitlinien als fortlaufenden Prozess zu verstehen in dem es weitere Schritte zu vereinbaren gilt.

Zudem wurde ein Pool von Coaches eingerichtet, auf den die Führungskräfte bei Bedarf zur Begleitung ihres persönlichen Praxistransfers zurückgreifen konnten.

Fazit

Unternehmen sind Organisationen und damit mehr als nur ein Zusammenwirken einzelner funktionaler Abteilungen, bzw. Geschäftsbereiche. Da das Ganze immer mehr ist als die Summe seiner Teile (Aristoteles), sind auch Organisationen komplexe soziale Systeme und als solche zu verstehen.

Als theoretisches Hintergrundmodell eignet sich das Organisationsverständnis der Systemtheorie. Die beschriebenen Abteilungen sind demnach zwei unterschiedliche und gleichzeitig autopoietische Systeme, die sich durch ein geschlossenes „Innen“ und ein „Außen“, den sogenannten relevanten Umwelten (Markt, Kunden, Wettbewerber, gesetzliche Grundlagen, Mitarbeiter etc.) auszeichnen. Ereignen sich in den relevanten Umwelten Veränderungen, so können diese Einfluss auf das „Innen“ haben. Die relevanten Umwelten der beiden Abteilungen sind zum Teil unterschiedlich, dementsprechend sind beide Systeme unterschiedlichen Veränderungsimpulsen durch ihre jeweiligen Umwelten ausgesetzt, sie haben eine unterschiedliche Arbeitslogik, und aufgrund ihrer Strukturdeterminiertheit reagieren sie auch unterschiedlich auf Veränderungen in ihrem „Außen“. Dies bringt an den Systemgrenzen bzw. Schnittstellen zwischen den Abteilungen unvermeidbare Widersprüche und Unterschiede mit sich. Die Geschäftsbereiche und Abteilungen eines Unternehmens als soziale Systeme sind in sich geschlossen, entwickeln in der Abgrenzung zu anderen Bereichen und Abteilungen eine eigene Identität. Damit wird das Eigene vertrauter, die anderen fremder. Eine dichte Geschlossenheit nach innen kann jedoch in den Abteilungen auch zu einer abgedichteten Geschlossenheit nach außen führen. Der innere Zusammenhalt gewinnt dann an Bedeutung. Die Folge ist ein starkes WIR Gefühl versus DIE anderen. Es kann dann passieren, wie real auch geschehen, dass Informationen von außen nicht bzw. verzerrt wahrgenommen oder uminterpretiert werden. Der Appell „ Wir arbeiten doch unter einem Dach unseres Unternehmens, wir haben gemeinsame Ziele, wir haben  Unternehmenswerte und Führungsleitlinien definiert, haltet euch daran!“  wirkt angesichts dieser systemimmanenten Logik nicht. Um solchen dysfunktionalen Entwicklungsprozessen in Unternehmen entgegenzuwirken, ist es zielführend ,  nicht nur auf das WIR  Gefühl und die Entwicklungen der Identität eines jeweiligen Teams bzw. einer Abteilung zu achten, sondern auch die Balance von Geschlossenheit und Offenheit einzelner Unternehmensbereiche mit in den Fokus von Entwicklungs- und Changemaßnahmen zu rücken (Lackner 2006).

Ebenso sinnvoll ist es, in Konfliktsituationen nicht nur auf die Personen als Protagonisten im Konfliktgeschehen zu schauen, sondern die gesamte Organisationsstruktur und –dynamik zu analysieren.  Denn häufig personifizieren sich die unvermeidbaren Unterschiede zwischen den Systemeinheiten einer Organisation als Beziehungskonflikte zwischen Personen. Wird versucht, den Konflikt nur zwischen den Funktionsträgern zu klären, wird der Erfolg nicht nachhaltig sein. Es gilt das ‚Mehr‘ des Beziehungskonflikts zu erkunden und einer Lösung zu- zuführen. Besonders an den Schnittstellen zwischen Bereichen mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Arbeitslogiken müssen Personal- und Organisationsentwicklungskonzepte der Komplexität und den unvermeidbar entstehenden Widersprüchlichkeiten und Dynamiken Rechnung tragen können.

Im Konfliktfall empfehlen wir deshalb:

– erstes den Blick auf die Organisationsstrukturen und die Organisationsdynamik zurichten.

– dann  die Interaktionsdynamik zwischen den funktionalen Systemen in der Organisation in den Fokus zu nehmen.

– und GLEICHZEITIG mit den Personen, die den Konflikt austragen, zu arbeiten. Unsere Erfahrung zeigt immer wieder, dass, wenn in den Strukturen und der daraus entstehenden Dynamik und Interaktionsmustern Klärung, Verständnis für die Komplexität und Toleranz für Unterschiede geschaffen wurde,  sich die Beziehungskonflikte leicht und nachhaltig auflösen.

Ein vereinfachtes Organisationsverständnis kann dazu führen, dass auch wichtige Tatbestände in Organisationen zu stark vereinfacht gesehen werden und damit die „Kontroll- und Machbarkeitsillusionen gestärkt wird“ (Wimmer 2009, S. 35 f).


¹Konflikte zwischen Organisationseinheiten, mit unterschiedlichen Zielen, Arbeitslogiken oder Kulturen (z.B. Vertrieb oder Personalwesen und Produktion) sind unvermeidbar (Vgl. Schwarz 2003).

²Vermeidbar sind alle Konflikte auf der Beziehungsebene. Es ist möglich, auf der Sachebene miteinander zu kooperieren, obwohl man sich auf der Beziehungsebene nicht mag, statt Beziehungskonflikte auf der Sachebene auszutragen. Vermeidbar sind auch Konflikte, die aufgrund von unklaren Organisationsstrukturen entstehen, z.B. durch nicht kommunizierte Erwartungen, unklare Verantwortungs- und Kompetenzbereiche (Ebenda).

³Mediation ist eine Kunst, Konflikte in einer konstruktiven Art und Weise zu deeskalieren und zu bearbeiten. Mediation ist eine eher informelle und außergerichtliche Art der Konfliktbearbeitung und strebt gegenseitiges Verstehen, gewaltfreie und konstruktive Kommunikation an. Mediation bietet eine Alternative zur direkten Konflikt- Austragung (zwei Leute streiten sich) bzw. zur administrativen Konfliktregelung – wenn beispielsweise eine dritte Person die Regelung übernimmt und entscheidet, was getan werden muss. (…)“( Dulabaum 2003, S. 8).


Literatur

http://update.hanser-fachbuch.de/2014/10/schnittstellenmanagement-in-agilen-unternehmen/

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/stab.html#definition

http://www.hubertbaumann.com/2012/08/02/business-development-definition-abgrenzung/

J. Mike Jacka, Paulette J. Keller:Business Process Mapping Workbook. Improving Customer Satisfaction, John Wiley & Sons Inc., New Jersey 2009

Lackner, Karin: Widerspruchsmanagement als Kriterium der Gruppenreife. In: Heintel, Peter (Hrsg.) betrifft: TEAM. Wiesbaden 2006 S. 85-91

Luhmann, Niklas: Einführung in die Systemtheorie. 2003

Schwarz, Gerhard: Konfliktmanagement: Konflikte erkennen, analysieren. Wiesbaden 2003